Mit Vollgas Richtung Markt: Marktanalyse für Startups (Teil 2)

by Werner Sammer

Marktanalyse und Bogenschießen haben – man denkt es kaum – die eine oder andere Ähnlichkeit. Der Pfeil soll ins Ziel – das ist die große Prämisse beim Bogenschießen. Es benötigt viel Übung und eine ruhige Hand, um den Pfeil auf der Zielscheibe unterzubringen. Und die richtig großen Punkte bekommt man nur, wenn man ins Gelbe trifft. Bei der Marktanalyse ist das kaum anders. Für dein Startup sind Informationen und geduldige Recherche das Um und Auf, um dein Produkt am richtigen Markt zu positionieren – damit jeder Pfeil ein Treffer ist. In diesem Blogbeitrag sehen wir uns den Zielmarkt genauer an.

Das richtige Ziel zu treffen gilt fürs Bogenschießen genauso wie für den Zielmarkt deines Startups.

Die Analyse des Absatzmarktes

Es ist niemals ein Fehler, ausreichend Zeit in die Analyse seines Marktes zu investieren. Denn die Informationsgewinnung im Voraus zählt zu den wesentlichsten Punkten in der Planung eines Geschäftsmodells. Die wesentlichen Fragen, die beantwortet werden sollten, sind:

  • Wer sind meine potenziellen Käuferinnen und Käufer und welche Wünsche, Bedürfnisse haben sie?
  • Wie groß ist mein Zielmarkt?
  • Wie attraktiv ist mein Zielmarkt?
  • Was machen meine Mitbewerber?

 

Das gesamte Businessmodell deines Startups basiert auf Annahmen, die du im Vorfeld deines unternehmerischen Tuns triffst. Wesentliche Erkenntnisse über deine Zielgruppe, den Wettbewerb, Markteintrittschancen und -barrieren, die Finanzierung deines Startups und Positionierungsmöglichkeiten kommen aus der Marktanalyse. Aus der Analyse leitest du später den Bedarf und das Nachfragepotenzial für dein Produkt oder deine Dienstleistung ab. Falsche Annahmen führen also gleich zu falschen Ergebnissen und bringen dich möglicherweise schneller in die Bredouille als dir lieb ist. Daher lieber genau recherchiert als schnell “dahingehudelt”.

 

Die Zielgruppe in Blei gegossen

Bevor du dich an die Marktanalyse machst, muss deine Zielgruppe klar umfasst sein. Wichtige Merkmale der idealen Zielgruppe sind unter anderem:

  • das Alter
  • das Geschlecht
  • der Familienstand
  • das Einkommen
  • Wünsche und Bedürfnisse

 

Welche Zielgruppe du ansprichst, kannst du aus dem Value Proposition Canvas ableiten, den wir früher schon behandelt haben. Wie du daraus eine Persona für deine Zielgruppe entwickelst (also ein typisches Abziehbild deiner Zielgruppe), kannst du im Blog von Marktding oder bei Take Off PR nachlesen. Mit diesen Ergebnissen kannst du toll weiterarbeiten. Beispielsweise könntest du deine Zielgruppe so charakterisieren:

Beispiel: Zielgruppen-Definition für eine (sehr fiktive) Fitness-App in Österreich (Daten wurden von der Statistik Austria herangezogen):

  • Zielmarkt Österreich (Menschen in Österreich: 8,6 Mio.)
  • für Männer (davon männlich: 4,2 Mio.)
  • zwischen 20 und 35 (rund 860.000 Leute)
  • sportbegeistert, achtet auf seinen Körper
  • mittleres bis hohes Einkommen (über 25.000 Euro p.a.) (516.000 – Annahme: 60% von 860.000)
  • Smartphone-Nutzer, installieren kostenpflichtige Apps (460.000 – Annahme: 90% von 516.000)
  • Zielgruppengröße somit: 460.000 User

 

So könnte deine Zielgruppe anhand einer Persona aussehen. @Flickr

Damit hast du deine Zielgruppe (für EIN spezifisches Produkt!) anhand verschiedener Kriterien (räumlich, zeitlich, finanziell usw.) genauer beschrieben und die Zielgruppengröße geschätzt. Beachte dabei: Nur realistische Annahmen helfen dir weiter. Du hast klar aufgeschrieben, welches Produkt du für wen anbietest und an welchem Ort dies passiert.

  • Welches Produkt: eine funky Fitness-App
  • An welchem Ort: Österreich (in der Realität wirst du den Markt größer fassen müssen)
  • Für wen: an Männer zwischen 20 und 35 mit mittlerem bis hohem Einkommen

Später kannst du bei der Marktstrukturierung (Teilmärkte mit verschiedenen Kundengruppen zum Beispiel) damit weiterarbeiten.

 

Wie groß ist mein Zielmarkt?

Nun weißt du bereits, welche Zielgruppe für deine Geschäftsidee relevant ist. Im nächsten Schritt ist eine Beschreibung des Gesamtmarktes notwendig. In welchen Branchen möchtest du tätig sein? Schreibe dir diese heraus und füge zu jeder dieser Branchen für dein Startup wichtige Kennzahlen, bestimmte Trendbewegungen oder sonstige wichtige Informationen hinzu. Zum Beispiel (wieder sehr fiktiv, nichtsdestotrotz richtig!):

Fitnessbranche:

  • Online-Workouts ersetzen immer stärker klassische Fitnessprogramme und auch Fitnessstudio-Besuche
  • Telemetrie und Self-Tracking (Quantified Self) durch Fitness-Hardware liegen im Trend (Wearables!)
  • Die Nutzung von Fitness-Apps nimmt überdurchschnittlich und deutlich zu – im App Store um 62% (1. HJ 2014).

 

Infografik: Die Zukunft von Wearables hängt am Handgelenk | Statista

Der Absatz von Wearables wird sich bis 2019 mehr als verdoppeln. © Statista

Nachdem du nun einen guten Überblick über deine Zielgruppe und deine Branche(n) hast, kannst du dir jetzt Gedanken zu drei wesentlichen und zukunftsentscheidenden Punkten machen, nämlich:

  • dem Marktvolumen,
  • dem Marktwachstum
  • und dem Marktpotenzial

 

Marktvolumen

Das Marktvolumen beschreibt den Umsatz, der in einem bestimmten Zeitraum in der Branche erwirtschaftet wird. Annahmen für das Marktvolumen kannst du über

  • vorhandene Branchendaten,
  • die Schätzung anhand von vorhandenen Daten
  • oder über die Berechnung durch diese Formel treffen:

 

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Beispiel: Der Fitness-Markt in Österreich ist 400 Millionen Euro schwer. Über Fitness-Apps wird ein jährlicher Umsatz von 10 Millionen Euro generiert.*

 

Diese Zahl brauchst du, um den Marktanteil zu berechnen. Treffe Annahmen:

Beispiel: Du erwartest dir in dieser Branche einen eigenen Marktanteil von 10%. Der jährliche Umsatz für dein Produkt beträgt somit 1 Million Euro.

 

Du kannst mit der obigen Formel und deiner Zielgruppengröße ebenso eine Berechnung durchführen:

Beispiel: 460.000 User * 1 (einmal kaufen) * 3 Euro = 1.380.000 Euro Umsatz. So weit, so fiktiv.

 

Marktwachstum und -veränderung

Entscheidend sind jedoch nicht nur die aktuelle Größe des Marktes, sondern auch, wie sich der Markt entwickelt. Welches Wachstum hatte die Branche in den vergangenen Jahren vorzuweisen? Diese Entwicklung kannst du schön in Grafiken darstellen (und passt übrigens sehr gut in jedes Pitch Deck).

Für das zukünftige Marktwachstum der kommenden 3 bis 5 Jahre solltest du realistische Annahmen treffen können. Wird in der Branche zukünftig mehr abgesetzt werden? Werden die Preise in der Branche ansteigen oder sinken? Gerade Investoren sind an Zahlen wie dem Marktwachstum pro Jahr interessiert.

So könnte ein Marktüberblick aussehen. © alliedmarketresearch.com

 

Wie attraktiv ist mein Zielmarkt?

Du kannst bereits einen guten Überblick über deinen Markt geben. Doch wie attraktiv ist mein Zielmarkt wirklich? Was noch fehlt ist die theoretisch mögliche Marktgröße – das Marktpotenzial.

 

Marktpotenzial

Mit dem Marktpotenzial erkennst du auf einem Blick, welches Wachstumspotenzial im Gesamtmarkt steckt. Wird der Markt in Zukunft wachsen (und du dieses Wachstum nutzen können), bleibt der Markt stabil (womit das Marktpotenzial ausgeschöpft ist) oder wird der Markt sogar schrumpfen (spätestens hier solltest du merken, dass du einen anderen Zielmarkt wählen solltest)?

Manchmal kann es sehr attraktiv sein, Mut zur Lücke zu beweisen. Heißt konkret: sich eine Marktnische zu suchen, in der man mit seinen Skills besser arbeitet als alle anderen. Dafür brauchst du alle Infos, die du nur bekommen kannst. Durch die Möglichkeiten des Internets fast ein Kinderspiel. Je mehr verfügbares Marktpotenzial, desto leichter ist es für dich, dich mit deinem Produkt am Markt durchzusetzen.

 

Markteintrittsbarrieren

Wie attraktiv ein Markt ist, entscheidet aber nicht nur das Marktpotenzial, sondern auch unterschiedliche Hindernisse, die sich dir beim Eintritt in einen Markt entgegenstellen können.

Zu Markteintrittsbarrieren hat für-gründer.de einen sehr ausführlichen Artikel verfasst. Generell sind diese Barrieren rechtliche oder ökologische Auflagen, branchenspezifischen Marktstrukturen und viele weitere Schwierigkeiten, die im Artikel recht schön erklärt sind. Vor dem Eintritt deines Startups in den Markt solltest du deinen Markt auf diese Punkte hin genauestens prüfen.

 

Die Konkurrenz im Rückspiegel

Eines lässt sich mit ziemlicher Sicherheit sagen, so hart es auch klingt: Ergibt deine langwierige Recherche, dass du keinerlei Konkurrenz am Markt zu befürchten hast, dann ist deine Marktanalyse für den Mülleimer.

Deine Überlegungen über Konkurrenzprodukte müssen über das leicht Ersichtliche hinausgehen. Beispiel? Ein superneuer Rasierer mit einzigartigen 10 Klingen steht trotz seiner “Innovation” noch immer in Konkurrenz zu allen anderen Rasierapparaten – ob elektrifiziert oder nicht, ob super innovativ oder eh nur das durchschnittliche Altgewohnte.

Nehmen wir als Beispiel DIE Super-Innovation des Jahres 2015 her (zufällig gerade in jenem Jahr, in dem Dr. Brown und Marty in der Zukunft ankommen 😉 ) – das Hoverboard. Sicherlich äußerst einzigartig, modern und besitzt bestimmt auch das Potenzial, neue Märkte zu eröffnen. Nur: Völlig außer Konkurrenz können auch Lexus und Konsorten nicht agieren. Der Vergleich zu Skateboards, Longboards und selbst Bikes wird und muss bei einer guten Marktanalyse stattfinden. Denn ehe man sich noch versieht, wird das tolle innovative Produkt durch (vermutlich) wesentlich billigere Transportmittel substituiert.

Hauptziel der Konkurrenzanalyse ist es, herauszufinden, wer die relevanten Konkurrenten sind. Das bedeutet einerseits zu wissen, wer sie sind und warum sie konkurrieren, sondern auch in welchen Märkten sie aktiv sind. Fokussiere dich dabei auf die 3 bis 5 größten, wichtigsten und einflussreichsten Mitbewerber.

  • Welche Produkte & Dienstleistungen bietet die Konkurrenz an?
  • Welche Neuentwicklungen werden sie in Zukunft anbieten?
  • Gibt es Ersatzprodukte/Substitutionsprodukte zu meinem Angebot?
  • Preise, Standortbedingungen und Marktanteil solltest du im Blickfeld bleiben.

 

Der Zweck der Analyse ist ein ganz wesentlicher: Wenn du formulieren kannst, warum gerade du mit deinem Startup Kundenbedürfnisse besser befriedigen kannst als alle anderen, desto besser kannst du dich auf deine Stärken konzentrieren. Die Konkurrenzanalyse umfasst einerseits quantitative Daten (wie Marktanteile etc.) und andererseits auch qualitative Aussagen, um die besonders einflussreichen Mitbewerber herauszufinden.

Schlussendlich tut es gut zu wissen, was deine Konkurrenz gut oder weniger gut macht. Betrachte deren Stärken und Schwächen (über eine SWOT-Analyse), aber auch deren Alleinstellungsmerkmale.

Einfach und übersichtlich – die SWOT-Analyse. @Wikipedia

 

Und welche Tools kann ich für die Marktanalyse heranziehen?

Vielleicht fragst du dich: Woher bekomme ich all diese Infos zum Markt? Keine Sorge, das ist kein großes Geheimnis.

Als Tools zur Marktanalyse solltest du klarerweise zunächst auf Suchmaschinen im Internet zugreifen. So schnelle und gleichzeitig umfangreiche Infos findest du kaum woanders.  Schon einmal Google Trends verwendet? Damit findest du heraus, welche Themen momentan besonders oft gesucht werden.

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© Google

Ein sehr großartiges, aber furchtbar unbekanntes Google-Tool zur Marktrecherche ist der Consumer Barometer. Die Site kann nämlich mit einem großen (und kostenlosen!) Datensatz zur digitalen Welt aufwarten. Einige Daten sind bereits als Insights aufbereitet, der weit größere Teil kann im Graph Builder nach Demografie, Alter, Geschlecht, Einkommenstatus und vielem mehr gefiltert werden. So kann man unter anderem aus 45 verschiedenen Ländern und 10 Produktkategorien Informationen über das Kaufverhalten oder über die Gerätenutzung online bekommen.

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Sehr mächtig, aber noch recht unbekannt: der Consumer Barometer. © Google

Mindestens genauso interessant ist der Global Market Finder. Damit findest du heraus, welche Zielgruppen dein Produkt ansprechend finden könnten. An welchen Orten der Welt nach welchen Keywords besonders oft gesucht wird, lässt sich dadurch ebenso ablesen. Damit kannst du auch sehr gut einschätzen, welche Marktchancen dein Produkt hat (speziell wenn du Suchmaschinen-Werbung schaltest).

Nun aber genug mit den Google-Tools. Als Geheimtipp empfehlen sich die Infografiken von Statista. Mehr als eine Million Statistiken zu den unterschiedlichsten Themen sprechen für sich.

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© Statista

Es gibt viele weitere Informationsquellen, die du unbedingt anzapfen solltest:

  • die Statistik Austria (für grobstrukturierte Informationen)
  • Branchenverbände, Marktforschungsinstitute und weitere Institute
  • Daten der Wirtschaftskammern Österreich und der Industrie
  • Daten von (Konkurrenz-)Unternehmen (Berichte, Branchenanalysen, Websites)
  • und schließlich die Eigenrecherche durch Experteninterviews, Kundengespräche und Markttests

 

Eine letzter Tipp von mir zu guter Letzt: eine gute Marktanalyse muss nicht auf die Stelle nach dem Komma genaue Zahlen liefern. Wirklich entscheidend ist die Größenordnung, mit der du beurteilen kannst, ob der angestrebte Markt für dein Startup einerseits groß genug und andererseits auch lukrativ ist. Macht es Sinn, diesen Markt zu bearbeiten? Und kann ich in diesem Markt auch tatsächlich Geld verdienen? In Kombination mit deiner Zielgruppe, den Wettbewerbern und den Markthürden erhältst du ein aussagekräftiges Bild über die bestehenden Marktverhältnisse.

Das war’s auch schon vorerst von der Marktanalyse – im nächsten Artikel sehen wir uns die Preisrecherche an.

 

Bilder: Amir Kurbanov (Own Work, Not Changed) [CC BY-SA 2.0 via Flickr CC], Xhienne (Own Work, Not Changed) [CC BY-SA 2.5 via Wikimedia CC],